Portrait Martin Pätzold

Niemals ganz verweht – Zukunft braucht Erinnerung

 

„Erinnern Sie sich noch?“ – zugegeben, mit solch einer Fragestellung wurde ich persönlich bisher selten konfrontiert. Meine Gesprächspartner gehen zu Recht wohl automatisch davon aus, dass ich in meinen jungen Jahren noch meist die Details von Begegnungen sofort abrufbereit parat habe und sie nicht erst aus irgendeiner hinteren Ecke meines Gedächtnisses einer fernen Vergangenheit entreißen muss. Mit der Erinnerung an Vergangenes findet die Auseinandersetzung mit der  Gegenwart und der Zukunft statt. So gilt nach Erich Maria Remarque: „Wir werden alt durch Erinnerung.“

 

Die Erinnerung ist eine Form der Begegnung. Sie prägt einen Menschen im Alter und gibt dem irdischen Handeln einen Kontext. Die Erinnerung an die Vergangenheit, die Pflege derer, die sich erinnern können, ist daher auch immer eine Zukunftsfrage, die unser Tun in das Licht der Zeit stellt. Das Vergessen führt dadurch stets zu weniger statt mehr Zukunft. Nur, wer sich mit den Erinnerungen der Menschen beschäftigt, kann heutiges Handeln richtig einordnen. Und so ist der Verlust der Fähigkeit, sich erinnern zu können, für den Menschen immer auch ein Stück eigener Persönlichkeitsaufgabe.

 

Und doch kann das Vergessen auch zu neuer Freiheit führen. Es befreit aus alten Denkmustern und ermöglicht überhaupt erst neue Wege im Alter. Vergesslichkeit und der Verlust der Erinnerung an Menschen, die wir kannten, führen dazu, dass diese Mitmenschen dann wirklich tot sind, da sich niemand mehr an sie erinnert. So ist die Erinnerung an Vergessene auch immer die Bewahrung des Erlebten. Und so gilt gerade auch im Alter der Satz des französischen Schriftstellers Jean-Jacques Rousseau: „Nicht der Mensch hat am meisten gelebt, welcher die höchsten Jahre zählt, sondern der, welcher sein Leben am meisten empfunden hat.“


Martin Pätzold

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