Erinnerung oder vielmehr das Erinnerungsvermögen gehören für mich zu den faszinierendsten Phänomenen des menschlichen Gehirns. Warum erinnere ich mich an bestimmte Dinge, an andere nicht mehr? Manche Details aus der Kindheit bleiben unvergessen, vieles scheint unwiederbringlich verloren. Oder kommt es wieder? Wieso kommt manches am Ende des Lebens mit voller Wucht wieder? Und an was erinnern sich Menschen, deren Erinnerungsvermögen verloren geht und die nicht mehr über ihre noch verbleibenden Erinnerungen sprechen können? Diese Fragen stelle ich mir seit dem Tod meiner Mutter im vergangenen Jahr immer wieder. Sie ist nach langjähriger, schleichender Demenz im Alter von 88 Jahren gestorben.
Nach einem langen politischen Leben stand die Aufarbeitung der Erlebnisse ihrer Eltern während der Nazizeit in den letzten geistig regen Jahren im Mittelpunkt ihres Tuns. Sicher deutete das schon darauf hin, dass die Erinnerungen an die erschütterndsten Jahre ihres Lebens während des Krieges die prägendsten waren. Denn diese Erinnerungen haben mehr und mehr Ausdruck gefunden, in der Niederschrift und in Erzählungen. Am Ende waren die Äußerungen verengt auf die Rufe nach der eigenen Mutter – ein Ausdruck von Sehnsucht und Erinnerung bis zum Schluss. Und ich bin sicher, dass auch meine Sehnsucht und Erinnerung an die eigene Mutter bis zum Schluss die innigsten sein werden. Vielleicht hilft es, sich darauf vorzubereiten, aber ich fürchte, es wird genauso schmerzlich sein.
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