Portrait Thomas de Maizière

Erinnerungen sind wie Fäden, die fein miteinander verwoben sind und die das, was wir erleben, zusammenhalten. Die Art, wie wir mit diesen Fäden umgehen, sagt viel aus - über uns selbst, aber auch über unser Volk. Wir Deutschen erinnern uns gerne. So gedenken wir in diesem Jahr voller Freude und Stolz der Wiedervereinigung vor 25 Jahren. Auch wenn ich selbst sehr gerne zurückdenke an diese Zeit, so beschleicht mich doch manchmal angesichts all dieser Rückblicke und Erinnerungsfeierlichkeiten ein seltsames Gefühl. Warum reden wir Deutschen nur so gerne über das, was hinter uns liegt? Warum diskutieren wir nicht mindestens ebenso leidenschaftlich über das, was vor uns liegt? Wie soll sie denn sein, die Welt, in der unsere Kinder und Kindeskinder leben werden? Diese Frage gilt vielen von uns seit dem Scheitern der großen Utopien sogar als leicht naiv. Wenn wir heute über unsere Zukunft reden, dann malen wir leider meist ein eher düsteres Bild von wachsenden Bedrohungen, steigender Komplexität und abnehmender Vorhersehbarkeit. Während früher der Glaube an eine bessere Zukunft vorherrschte, so scheint uns die Zukunft heute eher Angst zu machen. 

 

Dabei müssten gerade wir Deutschen es besser wissen. Was lehrt sie uns denn, die Erinnerung an die Wiedervereinigung? Wunderbar turbulent und aufregend war sie, diese Zeit: geprägt von der Bereitschaft, ins Ungewisse zu gehen, und der Gewissheit, dass es gelingen kann, auch scheinbar Unveränderliches zu verändern. Diesen Faden aufzunehmen, ihn weiterzuspinnen, das ist unsere Aufgabe. Erinnerung kann ein innerer Funke sein, eine nie versiegende Energiequelle - daran sollten wir uns auch einmal wieder erinnern.


Thomas de Maizière

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