Erinnerungen sind für uns etwas sehr Kostbares, ein Schatz, den wir zeitlebens hüten. Erinnerungen an unsere Kindheit, die Familie, die Freunde, alle beruflichen und privaten Höhen und Tiefen, durch die wir über die Jahre gehen. Diese Eindrücke zu verlieren, erschien auch mir immer als eines der größten Unglücke, die einem Menschen zustoßen können. Auch deswegen traf uns vor bald zehn Jahren die Diagnose "Alzheimer" für meinen Vater wie ein Schock. Dieser Mann, der immer mit dem Kopf gearbeitet und Großes geleistet hatte, wird sein Erinnerungsvermögen verlieren. Die Übergangsphase ist entsprechend schmerzhaft gewesen. Eines Tages aber sagte mein Vater : "Ich habe keinen Alzheimer, mir geht es gut. Das Einzige, was ich nicht mehr kann, sind die Namen der Tiere und der Orte." Inzwischen ist sein Verständnis für das Wort "Alzheimer" völlig verschwunden. Die Krankheit ist darüber weggeglitten und hat ihm - zusammen mit den meisten Erinnerungen an sein Leben - das Entsetzen über die Krankheit genommen. Auch der Schmerz über den frühen Tod meiner Mutter ist gelindert. Er hatte sie über alles geliebt. Je weiter der Alzheimer fortschritt, desto weniger trauerte er. Heute muss ich sagen, er lebt im Jetzt und ist in seiner kleinen Welt glücklich. Erinnerungen sind für ihn mehr Gefühle als konkrete Begebenheiten aus dem Gedächtnis. Ich denke heute: Ich wünsche mir nicht dasselbe Schicksal - aber wichtiger als die konkreten Erinnerungen zu behalten, ist, die Halt gebenden Beziehungen zu anderen zu bewahren. |